Lass die Türen deines Lebens offen

Letzte Woche ging ein großer Abschnitt meines Lebens zu Ende: Ich hatte nach 2,5 Jahren die vorerst letzte Stunde bei meiner Therapeutin. Ich fühle mich jetzt, 3 Jahre nach meinem Burnout der damit verbundenen Depression, endlich bereit, das Leben auf eine für mich neue Art und Weise zu meistern.

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Jerzy Sawluk  / pixelio.de

Ich kann mich noch gut an ein Erlebnis vor fast genau 3 Jahren erinnern, der mir als einer der Tiefpunkte meiner Krankheit im Gedächtnis geblieben ist:
Es war ein paar Tage vor unserer New York Reise, auf die ich mich so wahnsinnig gefreut hatte. Mein alten Job (ich habe früher in der IT-Branche gearbeitet) war endlich vorbei! Ich hatte meinen letzten Arbeitstag geschafft und ein neuer Lebensabschnitt, in dem alles besser werden sollte, wartete auf mich. Doch schon in den Wochen davor hatte ich gemerkt, dass es mir immer schlechter ging, ich immer gestresster und angespannter war, mich die Panik tagtäglich verfolgte. So war auch die Freude auf unseren Urlaub ziemlich getrübt, da ich einer riesengroßen Aufgabe gegenüberstand: Packen.
So unglaublich sich das jetzt für manche von euch vielleicht anhört, aber das Packen für diese Reise war ein echter Albtraum für mich. Was muss mit? Was soll ich einpacken? Was darf ich nicht vergessen? Was will ich in der Zeit anziehen? Trotz einer Packliste und Dingen, die ich in den Tagen vorher schon zur Seite gelegt oder besorgt hatte, habe ich einen ganzen Tag damit verbracht, für eine kurze Reise in eine Stadt zu packen, in der man doch alles bekommt, sollte man was vergessen. Ich konnte mich für nichts entscheiden, bin wie ein aufgedrehter Hamster durch die Wohnung gerannt und war völlig überfordert von all den Dingen, die ich scheinbar für diese Reise brauchte. Auch als wir dann in NYC waren, haben mich v.a. abends im Bett meine Ängste und die Panik eingeholt, was aus mir in Zukunft werden soll.
Hätte ich es nicht selbst erlebt, ich könnte kaum glauben, wie furchtbar es mir an diesem Tag ging. Für Menschen, die selbst noch nie eine Depression erlebt haben, ist es wahrscheinlich schwer nachzuvollziehen, was da mit einem passiert und warum ganz banale, alltägliche Aufgaben auf einmal als unüberwindbar erscheinen. Kurz nach diesem Urlaub musste ich dann schmerzvoll eingestehen, dass ich an einem Punkt war, an dem ich mir nicht mehr selber helfen konnte, an dem es eben nicht reicht, mir nur einen neuen Beruf zu suchen, um glücklich zu werden. Ein paar Wochen später begann meine Therapie mit dem Aufenthalt in der Sonnenbergklinik und die anschließende ambulante Therapie.

Heute blicke ich auf diese Zeit zurück und erkenne, wie viel sich verändert hat! Offensichtlich sind dabei die Veränderungen im Außen mit meinem neuen Beruf als Fitnesstrainerin, die vielen Lehrgänge, die ich gemacht habe, und jetzt auch unser erstes Eigenheim, in dem wir seit Anfang des Jahres wohnen. Doch das sind natürlich natürlich nicht die wichtigsten Veränderungen. Ich hätte all das machen und trotzdem genau so unglücklich bleiben können wie davor. Die wichtigsten Veränderung sind in mir passiert: Zu erkennen, wie ich die Welt wahrnehme und wie ich mir dabei oft selbst im Weg stehe, dass es mir schwer fällt, das volle Gefühlsspektrum zuzulassen, wie groß mein Bedürfnis ist, die Welt anhalten zu wollen, wenn es schwierig wird (und ich mich dadurch emotional wirklich komplett rausnehme), und v.a. wie wichtig andere Menschen, der Kontakt und der Austausch mit ihnen für mein Seelengesundheit sind.
Die Erkenntnisse und der Wille zu Veränderung mussten natürlich von mir ausgehen. Ohne die Bereitschaft, andere Sichtweisen zuzulassen bzw. zumindest mal auf mich wirken zu lassen, wäre keine Veränderung möglich gewesen. Aber ich bin meiner Therapeutin so unglaublich dankbar, dass sie mir so viele verschiedene Sichtweisen anbieten konnte und mir in jeder Therapiestunde einen Raum geschaffen hat, in dem ich immer mehr Vertrauen zu mir und meinen Gefühlen bekommen konnte. Für mich war aber auch klar, dass Therapie in dieser Form kein Dauerzustand sein soll. Trotzdem wurde mir vor ein paar Monaten bewusst, dass ich Angst davor hatte, dass die Therapie ein Ende hat und ich “noch nicht fertig” bin. Als ich dieser Angst auf den Grund ging, wurde mir klar, dass ich nie fertig sein werde! Es wird nicht nur Themen geben, die am Ende der Therapie noch nicht abgeschlossen sind, sondern danach wird es mit vielen neuen Fragen, Klärungspunkten, Konflikten usw. weitergehen. Davon kann ich mich also nicht zurückhalten lassen!
“Wie kann ich es also schaffen, meinen Therapieprozess sozusagen ohne Therapeutin weiterzuführen?” Das war für mich die wichtigste Frage und als ich das Gefühl hatte, dass ich sie beantworten kann, wurde auch die Angst vor dem Therapieende weniger. Nicht nur das: Es hat mich befähigt, selber nach Möglichkeiten zu suchen bzw. mir Möglichkeiten bewusst zu werden, die meinen Therapieprozess am Leben halten können. Es war für mich daher ein großer Schritt, den Zeitpunkt für das Therapieende selbst zu wählen, denn es war ein Schritt hin zu einer neuen Selbstständigkeit und einer Selbstverantwortung.

So ist das Ende der Therapie eigentlich kein Ende. Es geht zwar ein sehr bedeutsamer Lebensabschnitt für mich zu Ende, aber im Unterschied zu früher habe ich nicht das Bedürfnis, die Türe zu diesem Abschnitt zuzuschlagen und nie wieder aufzumachen. Im Gegenteil: Ich möchte sie ganz weit offen lassen! Daher wundert es mich auch nicht, dass in den letzten Wochen der Therapie in mir ganz viele alte Erinnerungen hochgekommen sind. Erlebnisse aus meiner Kindheit und meiner Jugend, an die ich schon seit Jahren nicht mehr gedacht hatte und bei denen ich jetzt auch die Türe offen lassen möchte. Denn sie sind ein Teil von mir, haben mich geprägt. Warum sollte ich sie – auch wenn manches davon schmerzhaft war – aussperren? Natürlich werden manche vielleicht nur angelehnt bleiben, aber ich möchte die Türen meines Lebens auch in Zukunft offen lassen.

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