Inkongruent – oder: Warum die Kündigung der richtige Schritt für mich war.

Inkongruent. Nichtübereinstimmend.
So habe ich mich die meiste Zeit in dem Jahr vor meiner Kündigung gefühlt. Und dieses Gefühl wurde in dieser Zeit immer stärker.
Es war die Inkongruenz zwischen dem, was ich nach außen vorgab zu sein, und dem, wie ich mich innerlich gefühlt habe.

Mit der ganzen Entwicklung, die ich im letzten Jahr durchlaufen habe, wurde das Gefühl immer stärker, dass der Karriereweg, den ich gewählt hatte, einfach nicht zu mir passte. Aber was sollte denn sonst zu mir passen? Waren die Schritte, die ich davor gegangen war, nicht richtig? War das doch nicht mein Weg? Ich meine, niemand hatte mich zu irgendetwas gezwungen. Ich hatte selbst mein Studium gewählt und danach auch meine Berufsrichtung. Das hat sich alles immer richtig so angehört. Aber das war es wohl für mich nur auf den ersten Anschein.

Es ist eine bittere Pille, wenn man erkennt, dass das, auf was man jahrelang hingearbeitet hatte, einen nicht ans Ziel bringt. Und mit Ziel meine ich nicht, dass man gut verdient oder einen toll klingenden Beruf hat. Mit Ziel meine ich Erfüllung im Beruf, Zufriedenheit, Leidenschaft für das, was man tut, das Gefühl, dass man genau dort den richtigen Platz für sich gefunden hat. Rückblickend betrachtet habe ich schon lange einiges an Energie aufgebracht, um mich für die Hülle bzw. Form meines Berufes passend zu machen. Ich hatte mich oft gefragt, wann es denn jetzt endlich losgeht, so richtig viel Spaß zu machen, mich komplett zu überzeugen. Bis letztes Jahr war ich immer der Meinung, dass ich diejenige bin, an der etwas nicht stimmt, dass ich an mir etwas ändern muss, damit ich passend werde für diesen Job.

Und dann war sie auf einmal da. Die Erkenntnis, dass nicht ich unpassend für diesen Job bin, sondern der Job unpassend für mich ist. Dass also nicht ich mich ändern muss, sondern der Beruf sich ändern muss. Das war schon mal ein wichtiger Schritt für mich. Es war erleichternd zu erkennen, dass ich so in Ordnung bin, wie ich eben bin, und dass daran auch gar nichts geändert werden muss. Aber natürlich hat mich diese Erkenntnis vor ein weiteres Problem gestellt: Wenn es das nicht weiter sein soll, was ich bislang gemacht hatte, was sollte es dann sein?
Tja, das war und ist die große Preisfrage. Und bis ich diese beantwortet hatte, wollte ich natürlich nicht, dass irgendjemand bei der Arbeit mitbekommt, dass ich mir gerade solche Fragen stellte. Ich wollte nicht dabei ertappt werden, dass mir die Arbeit keinen Spaß macht und sie mir eigentlich total egal ist. Ich war nicht mit dem Herz bei der Sache und habe mich auch nicht so reingehängt, wie ich es eigentlich gerne für meinen Beruf tun würde. Daher hatte ich immer die Angst, dass irgendwann mal jemand auf mich zukommt und sagt: “Also, Julia, deine Leistung lässt echt zu wünschen übrig. So geht das nicht weiter. Was ist den los mit dir?” Da ich auf diese Frage keine zufriedenstellende Antwort parat hatte, wollte ich auf keinen Fall, dass man sie mir stellt. Das wäre mein größter Horror gewesen – aus welchem Grund auch immer. Daher habe ich schön meine Rolle gespielt. Dass mir das sehr gut gelungen ist, konnte ich an den erstaunten Gesichtern erkennen, als ich gekündigt hatte. Niemand hat gemerkt, was in mir vorging.

Genau mit dieser Taktik habe ich mir selbst ein Bein gestellt. Denn das Spielen dieser Rolle hat mich wahnsinnig viel Kraft gekostet. Ich war innerlich so zerrissen und hatte meinen Geist nie wirklich frei, um den wichtigen Fragen auf die Spur zu kommen. Irgendwann war ich an einem Punkt angelangt, an dem ich völlig festgefahren war. Den Wunsch, einen Schlussstrich zu ziehen, hatte ich ja schon lange. Leider war ich aber nicht in der Lage, mir parallel etwas Neues aufzubauen, solange ich noch in diesem Job war. Für manche mag das gehen, für mich ging es nicht. Vielleicht geht es eher, wenn man nicht so viel Kraft aufwenden muss, um eine Rolle zu spielen, und man – auch wenn man sich verändern möchte – in seinem aktuellen Beruf dennoch Spaß hat. Ich habe diesen Schlussstrich einfach gebraucht.
Es gibt hier kein grundlegendes Richtig oder Falsch. Das ist eine ganz persönliche Angelegenheit, die von vielen Faktoren abhängen kann. Natürlich steht dabei auch die Frage im Raum, ob und wie man sich diesen Schlussstrich leisten kann. Ja, ich habe mich arbeitslos gemeldet, um eine gewissen finanzielle Sicherheit zu haben. Ich weiß, dass es einige gibt, denen diese Entscheidung missfällt, da sie der Meinung sind, ich würde meine Selbstfindung mit öffentlichen Geldern finanzieren. Diese Einstellung ist völlig in Ordnung. Jeder muss es so machen, wie er es für richtig hält. Außerdem ist es ja nicht so, dass es diese Unterstützung ohne Gegenleistung gibt. Natürlich brauche in eine Übergangslösung, die mir einen gewissen finanziellen Spielraum für den Aufbau meiner neuen Karriere liefert. Und diese werde ich ab September in Angriff nehmen. Aber es wird dann eben genau das sein: eine Übergangslösung. Nicht die neue Karriere. Einfach nur ein Job als finanzielles Rettungsboot. Und genauso, wie ich im letzten Jahr keine wirkliche Klarheit bezüglich meiner Neuorientierung erlangen konnte, so konnte ich mir keine Gedanken zu möglichen Übergangslösungen machen. Es ging einfach nicht. Aber ich merke, wie es jetzt schon etwas klarer für mich wird.

Ich musste diesen ersten Schritt gehen, bevor ich mir über die nächsten Schritte klar werden kann. So ist mein Weg. Euer Weg mag anders aussehen – und das ist völlig in Ordnung, solange er sich für euch richtig anfühlt.
Und heute ist der Schlussstrich für mich Realität geworden. Ich hatte heute meinen letzten Arbeitstag (offiziell ist dieser natürlich am 31.08., aber bis dahin habe ich ab jetzt Urlaub). Ich hatte meinen Übergabetermin in der Personalabteilung und habe meine Arbeitsmittel abgegeben. Im Gespräch mit der HR-Kollegin habe ich nochmal erzählt, was mich zu diesem Schritt gebracht hat. Und sie sagte dann: “Du warst eben nie verliebt in diesen Job.” Und genau so ist es! Nicht mal am Anfang war ich verliebt! Aber genau das möchte ich sein, genau das möchte ich irgendwann einmal fühlen.

Wie ich mich jetzt gerade fühle? Zumindest schon ein bisschen freier.

4 Comments

  • Ich habe sehr großen Respekt davor, dass du diesen Schritt durchgezogen hast. Ich wünsche dir viel Erfolg auf der Suche nach einem Job zum Verlieben :o)

  • Liebe Julia,
    ich wünsche Dir sehr viel Kraft, Erfolg und Geduld für die Suche nach dem richtigem Weg!!! Du hast es richtig gemacht und kannst stolz darauf sein, Dich von was getrennt zu haben, was Dir nicht gut tat.Mir geht es mit dem Thema Job genauso, nur das ich gerade noch daheim bin und Elternzeit habe. Ähnlich wie Du überlege ich nochmal eine Ausbildung , Umschulung oder oder zu machen. In einem tollen Cafe würde ich auch gerne arbeiten aber mit zwei Kindern die erst noch in den Kindergarten müssen, geht das nicht so einfach… 

    Erhol Dich jetzt ganz gut und lasse Deine Gedanken wachsen und reifen. 

    LG, Sandra

  • Hallo Julia, das war der richtige Schritt. Ich – inzwischen 55 – habe diesen Schritt vor 13 Jahren gewagt. Ich hatte – bedingt durch meine Heirat – einen Beruf angefangen, den ich eigentlich nie haben wollte. Fazit: Verdacht auf Herzinfarkt, Depressionen etc. Dann habe ich mich von Beruf und auch  von Mann getrennt. Vor 9 Jahren bin ich ins kalte Wasser gesprungen und habe noch einen Beruf erlernt. Jetzt bin ich glücklich und zufrieden. Ich wünsche Dir für die Zukunft alles Gute!
    LG Dagmar

  • Liebe Julia, 
    ich ziehe meinen Hut vor Dir!!! Es ist das eine diesen Schritt zu gehen, aber es ist ein vollkommen anderer dies auch publik zu machen. Und zwar nicht nur vor Freunden und Familie, sondern vor Deinen Lesern! Vor wildfremden Menschen. Das erfordert so viel mehr als nur Mut.

    Ich weiß, dass Du DEINEN Weg finden und auch gehen wirst. Und wie Du in den anderen Kommentaren lesen kannst, bist Du nicht der einzige Mensch, der so fühlt wie er es tut! Du kannst anderen Mut machen. Du hast nicht versagt. Nein, Du hast Dich getraut endlich Deine Augen zu öffnen und hinzusehen! Nicht zu laufen wie eine vorprogrammierte Maschine, sondern selbst zu bestimmen wo es lang geht. Und Du hast recht, denn es gibt kein richtig oder falsch! Halte Dir das immer vor Augen!!

    Kraft, Geduld & Mut wünsche ich Dir!

    Alles Liebe,
    sue

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