Auf dem Weg zu mir selbst – ein Jahr später

Heute ist wieder so ein Datum, bei dem mir durch den Kopf geht: “Wow, ist das schon ein Jahr her?”
Letztes Jahr um diese Uhrzeit (es ist gerade 09:45) habe ich gerade die letzten Dinge für meinen Klinikaufenthalt ins Auto gepackt und war mir nicht sicher, aus was genau mein Gefühlscocktail bestand: Nervosität, Aufregung, Angst, Freude – irgendwie war vieles dabei. Eins war aber klar: Ich hatte keine Ahnung, was mich in den nächsten Wochen genau erwarten würde. Ich wusste nur, dass es der Weg ist, den ich gehen musste. Und so habe ich mich heute vor einem Jahr für 9 Wochen von zuhause verabschiedet, um mit der stationären Behandlung meine Therapie zu beginnen.

Der Klinikaufenthalt war eine ganz besondere Zeit für mich. Es fühlt sich fast so an, als ob ich kurzzeitig in einer anderen, ganz beschützten Welt gewesen bin – abgeschnitten von allem, was sonst so vor sich ging. Hätte ich nicht das Gefühl gehabt, dass die Klinik ein Ort des Schutzes und der Sicherheit sein würde, hätte ich mich wohl nie auf das einlassen können, was dort auf mich zukam.

Wenn ich heute an das vergangene Jahr zurückblicke, so sehe ich weniger die Veränderung im Außen (wo sich ja auch einiges getan hat), sondern viel mehr das, was sich in mir verändert hat. Ich habe fast das Gefühl, als ob ich mich in diesem Jahr selbst ganz neu kennengelernt habe. Ich bin immer wieder aufs Neue erstaunt, was da so alles im Verborgenen liegt und ans Tageslicht möchte. Auch wenn das Aufdecken in den seltensten Fällen einfach ist, so ist immer eine große Erleichterung damit verbunden, wenn ich meinem Erkenntnis-Puzzle ein neues Teil hinzufügen kann. Doch ist es nicht nur Erleichterung, die ich spüre. Es ist auch ein großes Maß an Verständnis und Mitgefühl für mich selbst damit verbunden, wenn ich anfange zu begreifen, warum ich mich in manchen Situationen auf eine bestimmte Art und Weise verhalte oder fühle, wo ich selbst merke, dass das mit der eigentlichen Situation gar nichts zu tun hat. Trotzdem sind da diese oft sehr starken Gefühle, die ich überhaupt nicht einordnen oder zuordnen kann.

Nach der Klinik ging es fast direkt mit der ambulanten Therapie weiter. Die Suche nach einem ambulanten Therapieplatz kann sehr nervenaufreibend und entmutigend sein, da die Nachfrage viel größer ist als das Angebot. Ich hatte schon vor der Klinik versucht, einen Platz zu bekommen, und war erfolglos. Als sich der Klinikaufenthalt aber dem Ende neigte, musste ich mich auch diesem leidigen Thema wieder stellen. Bevor man sich für einen festen Therapieplatz entscheidet, ist es ja wichtig, dass sowohl Patient als auch Therapeut die Möglichkeit haben, sich in ein paar Sitzungen zu beschnuppern. Und wenn ein Therapeut auch für die folgenden Monate nicht absehen kann, dass bei ihm ein Platz frei wird, dann bekommt man eben nicht mal diese Erstgesprächstermine, sondern nur den Hinweis, dass man es in zwei oder drei Monaten nochmal probieren soll.  Nur hatte ich dieses Mal endlich Glück und habe bei zwei Therapeuten, welche nach dem Verfahren der analytischen Psychotherapie arbeiten, Termine für Erstgespräche bekommen. Und so habe ich meine jetzige Therapeutin gefunden.

Die analytische Psychotherapie war auch das Therapieverfahren, das in der Sonnenbergklinik angewandt wurde. Müsste ich sie für mich in einem Wort beschreiben, dann würde ich sie “Ursachenforschung” nennen. Es wird weniger geschaut, wie man mit einer aktuellen Situation, in der man unter emotionalem Druck steht, besser umgehen kann, sondern versucht man herauszufinden, was diesen emotionalen Druck erzeugt, was also die Ursachen dafür sind.
Für mich fühlt sich dieser emotionale Druck häufig an, wie eine große Kiste, die mit vielen Ketten und Schlössern versiegelt ist, in der aber irgendetwas eingesperrt ist, das einen ganz großen Radau macht, weil es unbedingt raus möchte. Und da ich nicht sehe, was alles drin ist, habe ich oft Angst, die Kiste aufzumachen. Doch komme ich genau da nicht drum rum, denn ich weiß, dass es nur so besser wird. Bei manchen Kisten ist man direkt “fertig”, wenn man sie geöffnet hat. Ich fühle dann die Erleichterung und dass das Gefühl, das drin war, seinen Platz in mir gefunden hat. Bei anderen Kisten findet man nach dem Aufmachen noch ein Kiste und dann noch eine und noch eine. Wenn sich nach dem Öffnen nicht das Gefühl der Erleichterung einstellt, ist das meist ein ganz gutes Indiz dafür, dass das noch nicht die eigentlich Ursache ist und noch eine weitere Kiste zu öffnen ist. Um da trotz des normalen Alltags dran bleiben zu können, hat man bei der analytischen Psychotherapie ein relativ großes Kontingent an Stunden, sodass man mehrere Sitzungen pro Woche machen kann. Ich habe z.B. drei Sitzungen pro Woche, sodass die Therapie ein prägendes Element in meiner Wochengestaltung ist. Auch wenn das manchmal nervt, so war ich gerade in den letzten Wochen, die für mich die schwierigsten seit der Zeit vor der Klinik waren, sehr froh darüber, dass ich diese intensive Betreuung hatte.

Heute vor einem Jahr, als ich mich auf den Weg in die Klinik machte, stand auch die Weihnachtszeit vor der Tür. Und dieses Jahr freue ich mich darauf, die Weihnachtszeit zuhause zu verbringen, die Deko rauszuholen und den Weihnachtsbaum zu schmücken. Es fühlt sich so an, als ob das die für mich friedvollste Weihnachtszeit seit Jahren werden könnte, denn die letzten Jahre war das für mich nicht immer eine so besinnliche Zeit. Dieses Jahr fühlt es sich ganz anders an und darauf freue ich mich schon sehr!

4 Comments

  • Liebe Julia!
    Ich bin auf Umwegen neulich auf deinen Blog gestoßen und das Thema Panikattacken und der Aufenthalt in der Klinik hat mich beeindruckt. Ich wollte dir unbedingt kurz schreiben und liebe Grüße aus Österreich senden!

  • Liebe Julia,

    es ist schon wahnsinn was so alles in einem Jahr passieren kann… Es freut mich so sehr, dass du so langsam das Gefühl bekommst wieder zur Ruhe zu kommen und die Weihnachtstage (hoffentlich) so richtig genießen wirst! 😉

    Du kannst sehr stolz auf dich sein, was du so alles in dem einen Jahr geschafft hast!!!

    Alles Liebe
    Nancy

  • Hallo Julia,
    ich bin vor ein paar Tagen auf deinen Blog gestoßen.
    Das was du beschreibst, habe ich in etwa auch alles durchgemacht in den letzten 2 Jahren bzw. bin immer noch damit beschäftigt…
    Mit Ausnahme von der stationären Therapie kann ich alle deine Erfahrungen teilen. Bei mir ist es auch das Problem mit den Gefühlen…
    Und ich kann auch bestätigen, dass ich mich in den letzten 2 Jahren besser kennengelernt habe, als in den ganzen Jahren vorher.
    Es ist ein langer Weg, den man gehen muss. Aber man freut sich über alle Erfolge, die man in der Zeit schon hatte. Ich empfinde es noch als schwierig, wenn man mal einen kleinen Rückschlag hat. Man muss lernen auch damit umzugehen. Ich habe auch langsam gelernt, mir an diesen Tagen etwas Gutes zu tun und nicht sauer auf mich selbst zu sein.
    Ich finde den Weg klasse, den du gehst. Ich gehe einen ähnlichen Weg.
    Es ist klasse, wie ehrlich du in deinem Blog über deine Erfahrungen schreibst.
    Auch die anderen Themen: Sport, Ernährung etc. finde ich super interessant.
    Mach weiter so!

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