Therapie und Alltag

Therapie ist immer noch ein fester Bestandteil meines Alltags. Ich bin jetzt seit über einem Jahr in ambulanter psychotherapeutischer Behandlung und ein Ende ist noch nicht in Sicht.
Drei Mal pro Woche spreche ich mit meiner Therapeutin über das, was mich aktuell bewegt, was mich aufwühlt, womit ich schwierig umgehen kann, und wir versuchen gemeinsam, die vielen äußeren Schichten abzutragen, um zum eigentlich Kern der Ursache vorzudringen (in diesem Post habe ich beschrieben, wie ich den Therapieprozess wahrnehme). Drei Mal 50 Minuten pro Woche – da kommt man ziemlich schnell ans Eingemachte. Und das ist auch gut so! Denn ich merke schon, dass es mir schwer fällt, im Alltag immer ganz nah an diesen tief sitzenden Emotionen dranzubleiben. Hätte ich nur ein Mal pro Woche Therapie, würde es über die Oberflächlichkeiten kaum hinausgehen.

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Astrid Götze-Happe  / pixelio.de


Wenn ich anderen Leuten erzähle, dass ich eine solche intensive Therapie machen, folgt oft die Reaktion: “Wow, wie gehst du damit im Alltag um?” Ganz ehrlich: Das weiß ich manchmal selber nicht so ganz genau. Doch waren die letzten zwei Wochen wieder von der aufwühlenderen Sorte und ich spürte den Drang, darüber berichten zu wollen, wie sich die Therapie auf meinen Alltag auswirkt. Nicht nur, um mit euch meine Erfahrungen zu teilen, sondern vielmehr, um mir selber mehr darüber klar zu werden, was ich da erlebe.

Beginnen wir mal mit der ganz offensichtlichen Auswirkung auf meinen Alltag: der Zeit.
Drei Mal pro Woche 50 Minuten in eine Therapie zu investieren, ist natürlich ganz schön aufwändig. Bei einem Vollzeitjob und mit “normalen” (also 9-to-5) Arbeitszeiten könnte ich das nur dann stemmen, wenn ich bei anderen Dingen zurückstecken würde, wie z.B. beim Sport oder Bloggen. Doch selbst dann wäre es mir zusätzlich zu einer 40-Stunden-Woche wahrscheinlich zu viel, da man ja nicht nur die Zeit beachten muss, die man direkt beim Therapeuten verbringt. Aber dazu gleich mehr.
Diese drei festen Termine, die Woche für Woche in meinem Kalender stehen, sind auch der Grund, warum ich der Therapie ab und zu mit einer gewissen Hassliebe begegne. So sehr ich auch dankbar und froh bin, dass ich diese Behandlung bekomme, so genervt bin manchmal auch davon. Die Termine sind indiskutabel. Ich kann nicht einfach mal kurzfristig einen verschieben oder ausfallen lassen. Nein, es ist eine 100%ige Verpflichtung für mich. Der Vorteil: Ich kann dann in der Therapie darüber reden, dass ich gerade eigentlich keinen Bock auf Therapie habe.

Doch meistens bin ich sehr verwundert, wie viel es immer noch zu bereden gibt!
Würde ich durch die festen Termine nicht mehr oder weniger dazu gezwungen werden, mich intensiv mit dem auseinanderzusetzen, was mich gerade bewegt, dann würde der Großteil davon wahrscheinlich untergehen – v.a. die unangenehmen Dinge. Ich musste dabei in den letzten Monaten immer wieder feststellen, wie schwer es mir fällt, bestimmte Gefühle wirklich zuzulassen und sie mit einer aktuellen Situation zu verknüpfen. In der Therapie merke ich dann oft, dass es da einige Gefühle gibt, die ich mir schlichtweg nicht zu fühlen erlaube.
Die Schwierigkeit daran – und dessen sind wir uns wohl alle bewusst: Die Gefühle sind ja trotzdem da und wollen gefühlt werden. Die einen bekommen einen Wutausbruch, um den emotionalen Druck abzulassen. Ich hingegen schlafe schlecht, träume sehr intensiv, bin gereizt und weiß nicht so genau, wohin mit mir (bzw. wohin mit meinen ganzen ungefühlten Gefühlen). Speziell das unerholsame Schlafen schlaucht mich dann sehr und ich frage mich, wie viel da denn noch begraben liegen kann! Die Gespräche in der Therapie sorgen dann auch nicht immer gleich für Erleichterung, sondern können es unter Umständen schlimmer machen. Wobei es mir bislang noch nicht passiert ist, dass ich eine Sitzung völlig aufgelöst und am Rande eines Nervenzusammenbruchs verlassen habe. Ich bin aber schon oft nach der Therapie zu meinem Auto gelaufen, musste erst einmal ganz schön schlucken und tief atmen.
Ich bin daher sehr froh, dass ich nach der Therapie i.d.R. nicht direkt arbeiten gehe und ich daher meistens noch etwas Zeit für mich habe, in der ich ein paar Dinge sacken und auf mich wirken lassen kann. Das ist aber kein Prozess, den ich bewusst steuere oder für den ich einen 10-Schritte-Plan habe. Die “Nachbearbeitung” findet sozusagen eher im Hintergrund statt. Wenn es dann so Phase gibt wie die letzten beiden Wochen, dann braucht das einfach mehr Energie als sonst. Im Umkehrschluss bräuchte ich eigentlich mehr Ruhe und müsste in anderen Bereichen einen Gang zurückschalten, doch das gelingt mir eben immer noch nicht so gut.
Hätte ich keinen Beruf, der mir Spaß macht (so wie früher), würde es mir um einiges schwerer fallen, Therapie und Alltag gut unter einen Hut zu bringen. Auch wenn es in der Therapie ans Eingemachte ging und ich auch Stunden danach noch dran zu knabbern habe, so kann ich trotzdem mit einem guten Gefühl zur Arbeit gehen. Ich sehe das Arbeiten einfach als willkommene Abwechslung und Ablenkung, welche mich auf andere Gedanken bringt und wo ich in Kontakt mit anderen Menschen komme. Auch wenn ich mit anderen nicht immer direkt über das spreche, was gerade in der Therapie ansteht, so ist der Austausch – egal auf welcher Ebene – immer auch mit Denkanstößen verbunden, die mich weiterbringen.

Mittlerweile weiß ich, dass die aufwühlenderen Phasen nicht von Dauer sind und dass ich mir durch sie immer noch ein Stück näher komme.
Die Erkenntnis, die ich aus den letzten beiden Wochen für mich mitnehme:

Durch unsere Gefühle wird das Leben erst lebendig. Doch müssen wir dazu das ganze Gefühlsspektrum zulassen. Dadurch nehmen wir nicht nur die schönen Gefühle intensiver wahr, sondern auch die unangenehmen. Und mit letzterem habe ich gerade schwer zu kämpfen, da es für mich ganz ungewohnt ist, sie wirklich richtig zu fühlen. Ohne sie wäre das Leben aber nur halb so aufregend!

So habe ich durch die Therapie schon einige wichtige Erkenntnisse und tiefe Einblicke bekommen. Die nagende Unzufriedenheit, die für mich über viele, viele Jahre ein ständiger Begleiter und mein primärer Antrieb war, verstummt immer mehr. Ich hätte nicht gedacht, dass ich auch mal ohne sie auskommen werde und ich wirklich tiefste innere Zufriedenheit fühlen kann. Doch bin ich auf einem guten Weg.

4 Comments

  • Ich kenne das Problem mit der Terminierung (leider) nur zu gut. Ich habe einmal pro Woche Therapie, was mit einer mehr als 40-Stunden-Woche praktisch nicht machbar ist. Ich bin gezwungen, die Zeit, die ich im Büro fehle, schnellstmöglich nachzuarbeiten, was noch mehr Stress verursacht. Und seit letzter Woche verweigert mit mein Arbeitgeber komplett, überhaupt noch während der regulären Arbeitszeiten eine Therapie zu machen. Wenn dann noch dazu kommt, dass man seinen Job bzw. das Arbeitsklima sowieso bescheiden findet ist es Stress pur.

  • Ui, das hört sich aber gar nicht gut an! Und da denkt man, dass man zumindest einen solchen Termin pro Woche unterkriegen sollte… Ich hoffe, du findest bald eine gute Lösung für dich!

  • Wow 3x die Woche? Das ist wirklich intensiv. Aber was ich mich frage: von der Kasse ist es ja vorgesehen, dass man die Stunden so aufteilt, dass man 1 Termin in 2 Wochen hat…wie ist das bei dir geregelt?
    LG Fea

  • Hallo Fea,
    ich glaube, das kommt auf die Art der Therapie an. Ich mache eine analytische Psychotherapie (welche mir auch von den Ärzten in der Klinik als weiterführende Therapie empfohlen wurde) und habe daher ein sehr hohes Stundenkontingent von der Kasse bewilligt bekommen. Ich bin wirklich froh, dass das durchging!
    Liebe Grüße
    Julia

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